By: Johannes Fiegenbaum on 26.06.25 12:42
Das Berliner Climate-Tech-Startup Climatiq hat erfolgreich eine Series-A-Finanzierung in Höhe von €10 Millionen abgeschlossen und positioniert sich damit als führender Anbieter für Carbon Intelligence Infrastructure. Die Runde wurde von Alstin Capital angeführt, mit Beteiligung der bestehenden Investoren Singular und Cherry Ventures. Diese Finanzierung markiert einen wichtigen Meilenstein für die Embedded-Carbon-Intelligence-Branche und zeigt das wachsende Interesse institutioneller Investoren an skalierbaren Climate-Tech-Lösungen. Gerade in Zeiten steigender regulatorischer Anforderungen wie der CSRD rückt die Integration von Nachhaltigkeitsdaten immer stärker in den Fokus von Unternehmen (Überblick zu ESRS-Standards und CSRD).
Climatiq entwickelt eine API-first-Plattform, die präzise Emissionsdaten direkt in bestehende Unternehmenssoftware einbettet, um Informationssilos zu eliminieren, die echte Klimamaßnahmen verhindern. Das 2021 gegründete Unternehmen hat bereits über eine Milliarde Carbon-Berechnungen über seine APIs in den letzten 12 Monaten durchgeführt und bedient eine wachsende Community von 30.000 Nachhaltigkeitsprofis. Mit der neuen Finanzierung plant Climatiq, seine KI-Fähigkeiten zu erweitern, die automatisierte Emissionsberechnungen für Aktivitäten, Produkte und Lieferanten ermöglichen. Für Unternehmen, die bereits umfassend berichten müssen, wird die Integration von APIs und ESG-Daten-Standards immer wichtiger (ESG-APIs – Grundlagen und Anwendungsfälle).
Climatiqs Kernvorteil liegt in seinem Embedded-Ansatz: Anstatt ein weiteres Dashboard zu CSR-Teams hinzuzufügen, integriert die Plattform direkt in die über 200 Geschäftsbetriebsplattformen, die Unternehmen bereits nutzen. Die Lösung umfasst eine wissenschaftlich geprüfte Datenbank mit über 200.000 Emissionsfaktoren, die alle Scopes abdeckt und von einem Scientific Advisory Board überwacht wird.
Die API-Architektur ermöglicht Real-Time-Emissionsberechnungen für verschiedene Anwendungsfälle: von Energie und Beschaffung bis hin zu Fracht, Reisen und Cloud Computing. Besonders differenzierend ist die KI-gestützte Emissionsfaktor-Zuordnung, die auch bei fragmentierten oder indirekten Datensätzen funktioniert (Scope 3-Emissionen in Echtzeit: KI macht Lieferketten transparent). Für viele Unternehmen ist gerade die Abdeckung von Scope 3 der größte Hebel, um regulatorisch und strategisch zukunftsfähig zu bleiben (Dekarbonisierung von Scope 3: Insetting und Klimahardware).
Die Methodologie entspricht ISO 14067, dem GHG Protocol und ISO 14064-3:2020-05, wodurch die Berechnungen für regulatorische Berichterstattung unter CSRD/ESRS und CBAM verwendet werden können.
Kritisches Risiko: Carbon-Emissionsfaktoren werden zunehmend zur Commodity. Open-Source-Datenbanken (DEFRA, EPA, OpenLCA, ecoinvent) wachsen schnell, und Large Language Models wie ChatGPT können bereits heute auf standardisierte Emissionsfaktoren zugreifen. Die Größe und wissenschaftliche Validierung von Climatiqs Datenbank bietet keinen dauerhaften defensiven Burggraben. Wie der Markt für ESG-Daten und Nachhaltigkeits-Tools immer schneller reift, zeigt auch die Diskussion um die Vorteile und Risiken von KI, Datenkommoditisierung und Automatisierung (Saubere, vernetzte Daten: Die Grundlage für erfolgreiche KI- und Nachhaltigkeitsstrategien).
Marktdynamik: Sobald ein Industriestandard erreicht ist, werden Emissionsdaten „table stakes“ – verfügbar über APIs, Open Source oder direkt über generative KI. Die Big Four (SAP, Salesforce, Microsoft, Google) können ähnliche Datenbanken und KI-Zuordnungslogik nachbauen.
Implikation: Climatiqs Hauptargument (umfangreichste Datenbank, wissenschaftliche Validierung) verliert mittelfristig an defensiver Qualität. Was bleibt, ist operative Geschwindigkeit und Integrationsbreite – kein dauerhafter technologischer Burggraben.
Fundamentales Problem: Climatiq misst exzellent CO₂-Emissionen, aber es ist unklar, ob die Nutzung tatsächlich zur Emissionsreduktion führt. CO₂-Messung ist Voraussetzung für Reduktion, aber kein Garant. Der reine Einbau einer API führt nicht automatisch zu Verhaltens- oder Prozessänderungen. Wie wichtig es ist, Greenwashing zu vermeiden und tatsächlich belastbare Wirkungslogiken zu implementieren, diskutieren auch zahlreiche Marktbeobachter (Greenwashing-Falle vermeiden: Wie man eine echte Theorie des Wandels aufstellt).
Fehlende Zusätzlichkeit: Ohne Beleg, dass die API zu handlungsrelevanten Entscheidungen oder nachweisbaren Prozessänderungen (z.B. Lieferantentausch, Produktumstellung) führt, ist der Impact nicht robust quantifizierbar. Dies ist ein klassischer „Soft Attribution“-Fehler.
Lösungsansatz nicht implementiert: Ein möglicher Impact-Nachweis wäre die dynamische Messung pro Kunde: Wenn API-Calls über eine Kunden-ID im Zeitverlauf signifikant niedrigere CO₂-Werte liefern (bei stabilen Produktionszahlen), könnte das als Nachweis für enableten Impact gewertet werden. Diese Daten gibt es wahrscheinlich, liegen mir aber nicht vor.
Risiko für Impact-Investoren: Viele Article 9/Impact-Fonds verlangen mittlerweile echte Zusätzlichkeit und Impact-Proof. Ohne diesen Nachweis besteht die Gefahr, dass die Lösung nur für Pflichterfüllung (CSRD, Compliance, Reporting) eingesetzt wird, aber keinen realen Klima-Impact hat.
Der globale Carbon Accounting Software Markt wird für 2023 auf $16,92 Milliarden geschätzt und soll bis 2030 mit einer CAGR von 22,1% auf $95,47 Milliarden wachsen. Treiber sind zunehmende regulatorische Anforderungen und die wachsende Akzeptanz von ESG-Standards (Nachhaltigkeit als Erfolgsfaktor: Die 7 größten Vorteile für Unternehmen).
Climatiqs Go-to-Market-Strategie fokussiert auf B2B-SaaS-Provider und In-House-Software-Entwickler als Primärkunden. Durch Partnerschaften mit führenden ERP- und Supply-Chain-Management-Anbietern wie Celonis, IFS und Siemens erreicht das Unternehmen globale Geschäftskunden indirekt.
Der Fokus auf Scope 3 Emissionen ist strategisch klug, da diese typischerweise 90% des Unternehmens-Carbon-Footprints ausmachen, aber aufgrund fragmentierter Daten und komplexer Bilanzierungsmethoden schwer zu bewerten sind (Scope 3-Emissionen verstehen: Leitfaden zu SBTi, Emissionsgutschriften und ersten Schritten).
CEO und Mitgründer Hessam Lavi bringt über 15 Jahre Erfahrung in der digitalen Produktentwicklung mit. Seine Laufbahn umfasst Leadership-Rollen bei Google (Teamlead Search Quality) und den erfolgreichen Exit von Jobspotting an SmartRecruiters. Diese Kombination aus technischer Expertise und Skalierungserfahrung ist für die Herausforderungen einer API-Infrastructure-Company ideal geeignet.
Das Founding-Team wird durch Philipp von Bieberstein und Isis T. Baulig ergänzt. Das wissenschaftliche Advisory Board umfasst renommierte Experten wie Mike Berners-Lee, Shelie Miller und Robert Armstrong, was die Glaubwürdigkeit der Datenqualität und Methodologie stärkt.
Das API-first Business Model ermöglicht skalierbare Monetarisierung über Transaktionsvolumen. Mit bereits über 200 Plattform-Integrationen und globalen Enterprise-Kunden wie Cisco, PWC, Siemens und Stripe zeigt sich eine solide Grundlage für wiederkehrende Umsätze. Welche Chancen, aber auch Herausforderungen im Hinblick auf die Monetarisierung und die Rolle von ESG-Standards aufkommen, zeigt ein Blick auf aktuelle ESG-Reportingtrends (VSMe-Standard: Nachhaltigkeitsberichterstattung für KMU).
Die Series A von €10 Millionen, angeführt von Alstin Capital, reflektiert die Marktvalidierung des Embedded-Ansatzes. Alstin ist ein etablierter B2B-Software-Investor mit einem €175 Millionen Fund III und Track Record bei Exits wie Stocard (an Klarna).
Der Carbon Intelligence Markt ist fragmentiert mit verschiedenen Ansätzen: Full-Service-Plattformen (Watershed, Normative), Carbon Accounting Software (Emitwise, Sweep, Multiplye) und Scope 3-Speziallösungen.
Aktuelle Differenzierung: Climatiqs Infrastructure-Layer-Ansatz reduziert Adoption-Barrieren und erhöht die Wahrscheinlichkeit kontinuierlicher Nutzung im Vergleich zu separaten Plattformen.
Erodierender Moat: Die vermeintlichen Wettbewerbsvorteile (größte Emissionsfaktoren-Datenbank, umfassende API-Abdeckung, wissenschaftliche Validierung) sind mittelfristig nicht verteidigbar. Partnerschaften mit ERP-Anbietern bieten temporäre Eintrittsbarrieren, aber keine dauerhafte Exklusivität (Kritik und Chancen: Das EU-Omnibus-Paket und die Zukunft der Nachhaltigkeitsberichterstattung).
Qualifizierte Empfehlung mit Vorbehalten: Während Climatiq formell Article 9-Kriterien erfüllt, fehlt der Nachweis tatsächlicher Emissionsreduktionen. Die Plattform bleibt ein „Reporting- und Transparenz-Play“, aber kein bewiesener Decarbonization-Accelerator. Investment nur empfehlenswert, wenn das Unternehmen sich zur Entwicklung robuster Impact-Attribution verpflichtet.
Vorsichtige Empfehlung: Das B2B-SaaS-Modell bietet attraktive Metriken, aber die langfristige Verteidigbarkeit ist fraglich. Der Daten-Burggraben erodiert durch Kommoditisierung. Investment nur bei klarer Strategie für Post-Commodity-Differenzierung (z.B. proprietäre Optimierungsalgorithmen, exklusive Decarbonization-Services).
Zurückhaltende Empfehlung: Während Climatiq einen strukturellen Megatrend adressiert, sind sowohl die technologische Verteidigbarkeit als auch der Impact unbewiesen. Regulatorische Tailwinds allein rechtfertigen die Bewertung nicht, wenn das Kernprodukt zur Commodity wird.
Climatiq repräsentiert ein gut ausgeführtes, aber strukturell vulnerables Climate-Tech-Investment. Das Unternehmen profitiert von regulatorischen Tailwinds und zeigt starke operative Execution, steht aber vor zwei fundamentalen Herausforderungen: der drohenden Kommoditisierung seiner Kerndaten und dem fehlenden Nachweis tatsächlicher Klimawirkung.
Für Investoren ist Climatiq attraktiv als kurzfristiger Profiteur des Compliance-Booms, aber riskant als langfristige Klima-Impact-Wette ohne robuste Verteidigbarkeit und bewiesene Additionalität.
Investitionsentscheidung sollte abhängen von: der Bereitschaft des Unternehmens, echte Impact-Attribution zu entwickeln, und einer klaren Strategie für die Post-Commodity-Phase des Carbon-Data-Marktes.
Disclaimer & Methodische Hinweise
Diese Investment-Analyse basiert ausschließlich auf öffentlich zugänglichen Informationen und stellt eine externe Einschätzung ohne Zugang zu internen Unternehmensdaten dar. Bewertet wurden nur Pressemitteilungen, Finanzierungsankündigungen, Medienberichte und branchenübliche Marktdaten.
Angaben zu Emissionsbilanzen und Transition Plans beruhen auf unternehmenseigenen Annahmen und öffentlich kommunizierten Daten (Stand: Juni 2025). Eine unabhängige Prüfung fand nicht statt.
Wichtige Hinweise:
Keine Due Diligence: Diese Analyse ersetzt keine professionelle Investmentprüfung mit Zugang zu Pitch Decks, Finanzdaten oder Managementgesprächen.
Externe Perspektive: Die Bewertung stützt sich auf öffentliche Quellen und Branchenvergleiche, nicht auf interne KPIs oder detaillierte Technologie-Analysen.
Zeitpunkt: Alle Aussagen beziehen sich auf den Stand der verfügbaren Informationen im Juni 2025.
Keine Anlageberatung: Die Analyse ist weder Kauf- noch Verkaufsempfehlung und ersetzt keine individuelle Investmentberatung.
Interessenkonflikte: Der Autor hält keine direkten Beteiligungen an Climatiq oder den genannten Investoren, sofern nicht explizit anders ausgewiesen.
Zweck:
Die Analyse dient ausschließlich der allgemeinen Markteinschätzung und der exemplarischen Darstellung von Bewertungsmethoden im Climate-Tech-Sektor. Für konkrete Investmententscheidungen ist eine professionelle Due Diligence mit direktem Zugang zum Unternehmen erforderlich.
Haftungsausschluss:
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