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13 min Lesezeit

Der Digitale Produktpass: Von der Regulierung zur Wettbewerbschance

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Die europäische Industrie steht an einem Wendepunkt. Mit dem Digitalen Produktpass (DPP) führt die EU ein Instrument ein, das weit mehr als eine neue Berichtspflicht darstellt. Der DPP verspricht einen grundlegenden Wandel in der Art und Weise, wie Produkte konzipiert, produziert und verwertet werden – und eröffnet Unternehmen, die frühzeitig handeln, erhebliche strategische Vorteile.

Die Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte (ESPR), die im Juli 2024 in Kraft trat, bildet die rechtliche Grundlage für dieses ambitionierte Vorhaben. Sie ersetzt die bisherige Ökodesign-Richtlinie und erweitert deren Anwendungsbereich deutlich: Während früher hauptsächlich energieverbrauchsrelevante Produkte im Fokus standen, umfasst die ESPR künftig nahezu alle physischen Güter auf dem europäischen Markt. Ausgenommen sind lediglich Lebensmittel, Futtermittel und medizinische Produkte.

Ein digitaler Lebenslauf für jedes Produkt

Der Digitale Produktpass fungiert als umfassender digitaler Datensatz, der den vollständigen Lebenszyklus eines Produkts abbildet. Von der Rohstoffgewinnung über die Produktion und Nutzung bis hin zur Entsorgung oder Wiederverwertung – der DPP dokumentiert alle relevanten Informationen in strukturierter, digitaler Form.

Die Bandbreite der erfassten Daten ist beeindruckend: Materialzusammensetzung und Herkunft, CO₂-Fußabdruck und Umweltwirkungen, Reparierbarkeit und Ersatzteilversorgung, Recyclingfähigkeit und Entsorgungshinweise sowie Informationen zu kritischen Rohstoffen und Lieferketten. Diese Informationen werden über einen Datenträger – typischerweise ein QR-Code, NFC- oder RFID-Chip – direkt am Produkt zugänglich gemacht.

Für die Erfassung der Umweltwirkungen über den gesamten Produktlebenszyklus spielen Lebenszyklusanalysen (LCA) eine zentrale Rolle. Sie bilden die methodische Grundlage für die Berechnung des Product Carbon Footprints und weiterer Umweltkennzahlen, die im DPP hinterlegt werden.

Der Zugriff erfolgt gestaffelt: Verbraucher erhalten grundlegende Produktinformationen und Nachhaltigkeitsdaten, während Fachbetriebe auf technische Details zur Reparatur zugreifen können und Recyclingfirmen Informationen zur Materialzusammensetzung erhalten. Marktüberwachungsbehörden haben schließlich vollständigen Zugriff auf alle Compliance-relevanten Daten.

Zeitplan und Pilotbranchen: Der Batteriepass als Vorreiter

Die Einführung des Digitalen Produktpasses erfolgt gestaffelt. Den Anfang macht der Batteriepass, der ab dem 18. Februar 2027 für Industrie- und Elektrofahrzeugbatterien sowie Batterien von Zweirädern über 2 kWh Kapazität verpflichtend wird. Die EU-Batterieverordnung 2023/1542 definiert bereits detaillierte Anforderungen und gilt als Blaupause für kommende Produktkategorien.

Weitere Produktgruppen mit hoher Priorität folgen zwischen 2027 und 2030. Textilien und Bekleidung stehen dabei im Fokus der EU-Textilstrategie, die Extended Producer Responsibility und Mindeststandards vorsieht. Für Elektronik und Elektrogeräte sind Informationen zu Lebensdauer, Reparierbarkeit und Konfliktmineralien vorgesehen. Auch Möbel, Bauprodukte, Autoreifen sowie Eisen und Stahl gehören zu den priorisierten Kategorien.

Die Batterieverordnung zeigt exemplarisch, welche Anforderungen auf Unternehmen zukommen. Ein Battery Pass Konsortium aus elf führenden internationalen Organisationen hat Anfang 2025 einen technischen Leitfaden veröffentlicht, der ein umfassendes Rahmenwerk für die Umsetzung bereitstellt. Der Leitfaden beschreibt eine ganzheitliche Systemarchitektur, bei der Interoperabilität, Vertrauen und die Koexistenz verschiedener Standards im Vordergrund stehen.

Kreislaufwirtschaft als strategisches Ziel

Der DPP ist ein zentrales Werkzeug zur Umsetzung der europäischen Kreislaufwirtschaftsstrategie. Die Vision ist eindeutig: Ressourcen sollen länger im Wirtschaftskreislauf gehalten, Produkte repariert statt ersetzt und Materialien am Ende der Nutzungsphase hochwertig recycelt werden.

Die Zahlen unterstreichen das Potenzial: Der Wandel hin zu einer Kreislaufwirtschaft könnte bis 2050 die globalen CO₂-Emissionen deutlich senken. Gleichzeitig reduziert der DPP die Abhängigkeit von Primärrohstoffen und stärkt die Versorgungssicherheit bei kritischen Materialien. Gerade bei kritischen Rohstoffen, deren Preise auf den Weltmärkten stark schwanken und bei denen oft Abhängigkeiten von einzelnen Abbauländern bestehen, kann sich die Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft auch finanziell lohnen.

Der DPP schafft die Datenbasis für optimierte Recyclingprozesse. Entsorgungsunternehmen erhalten präzise Informationen über die Materialzusammensetzung, was die Rückführung von Produkten in passende Recyclingkreisläufe ermöglicht. Dies steigert sowohl die Ressourcennutzung als auch die Kreislaufführung erheblich. Besonders wichtig ist dabei die Transparenz in der Lieferkette, die der DPP systematisch dokumentiert.

Technische Umsetzung: Zwischen Standards und Flexibilität

Die technische Realisierung des DPP stellt Unternehmen vor komplexe Herausforderungen. Die Europäischen Normungsorganisationen CEN, CENELEC und ETSI arbeiten intensiv an harmonisierten Standards für die Umsetzung. Das neu gegründete Joint Technical Committee 24 (JTC 24) koordiniert diese Aktivitäten und hat bereits mehrere Normentwürfe vorgelegt.

Die Entwürfe decken verschiedene Aspekte ab: Protokolle zum Datenaustausch definieren sichere und effiziente Datenformate wie JSON oder XML. Standards für eindeutige Kennungen legen fest, wie Produkte, Wirtschaftsteilnehmer und Einrichtungen identifiziert werden. Programmierschnittstellen (APIs) ermöglichen den Zugriff auf Produktpass-Daten und deren Durchsuchbarkeit. System-Interoperabilität stellt sicher, dass verschiedene DPP-Systeme nahtlos zusammenarbeiten. Zudem regeln Normen zur IT-Sicherheit und zum Datenschutz die Zugangsrechteverwaltung und die Übertragung von Verantwortlichkeiten.

Die technologische Basis bildet eine dezentrale Architektur. Der Wirtschaftsakteur, der das Produkt in Verkehr bringt, bleibt für die Daten verantwortlich und kann diese entweder selbst hosten oder einen Dienstleister beauftragen. Diese Struktur ermöglicht es Unternehmen, ihre bestehenden IT-Systeme weiterhin zu nutzen und über standardisierte Schnittstellen anzubinden.

Verschiedene Technologien kommen zum Einsatz: QR-Codes bieten einfachen Zugriff per Smartphone, RFID- und NFC-Chips ermöglichen kontaktloses Auslesen in großen Mengen, und Blockchain-Technologie kann für manipulationssichere Speicherung sensibler Daten eingesetzt werden. Die Asset Administration Shell (AAS) hat sich als standardisiertes Datenmodell etabliert und ermöglicht Interoperabilität zwischen heterogenen Systemlandschaften.

Herausforderungen im Datenmanagement

Die Implementierung des DPP konfrontiert Unternehmen mit erheblichen datenmanagementbezogenen Herausforderungen. Daten müssen aus verschiedenen Quellen – ERP-, PIM-, PLM- und MES-Systemen – erfasst und harmonisiert werden. Lieferanten entlang der gesamten Wertschöpfungskette müssen eingebunden werden, was besonders bei komplexen, internationalen Lieferketten anspruchsvoll ist.

Die Datenstandardisierung stellt eine besondere Hürde dar. Die EU hat spezifische technische Standards noch nicht finalisiert, was bei Unternehmen zu Unsicherheit führt. Bestehende Standards wie ISO 14040 für Lebenszyklusanalysen bieten zwar Orientierung, decken aber den breiten Umfang der DPP-Anforderungen nicht vollständig ab. Hier können etablierte LCA-Methoden wie PEF und PATH wichtige Anhaltspunkte für die nachhaltige Produktentwicklung liefern.

Die Datenverifizierung ist ein weiterer kritischer Punkt. Unternehmen benötigen robuste Data-Governance-Frameworks mit regelmäßigen Audits, um die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Daten sicherzustellen. Besonders herausfordernd sind dynamische Daten, die sich während des Produktlebenszyklus ändern – etwa Nutzungshistorie, Leistungskennzahlen oder Wartungsaufzeichnungen.

Datensicherheit und Datenschutz erfordern besondere Aufmerksamkeit. Während einige DPP-Informationen öffentlich zugänglich sind, müssen sensible Daten wie Lieferantennetzwerke oder Produktionsmethoden geschützt werden. Granulare Berechtigungskontrollen sind nötig, um proprietäre Informationen zu schützen und gleichzeitig autorisierten Stellen Zugriff zu gewähren.

Chancen und Wettbewerbsvorteile für Unternehmen

Trotz der Herausforderungen bietet der DPP erhebliche strategische Vorteile. Die detaillierte Dokumentation der Produktlieferkette schafft Vertrauen bei Kunden und Investoren – besonders wichtig bei öffentlichen Ausschreibungen und im B2B-Bereich. Transparenz wird zum Wettbewerbsvorteil.

Durch systematische Erfassung von Lieferantendaten lassen sich Risiken frühzeitig erkennen. Unternehmen können alternative Bezugsquellen identifizieren und Lieferanten mit besseren Umweltstandards bevorzugen, was Kosten senkt und die Versorgungssicherheit erhöht. Die Beschaffung wird effizienter.

Der DPP ermöglicht innovative Ansätze wie Product-as-a-Service oder optimierte Rücknahmeprogramme. Mit präzisen Materialdaten lassen sich Recyclingprozesse effizienter gestalten. Neue Geschäftsmodelle entstehen.

LCA-Daten liefern Entwicklungsteams wertvolle Einblicke für umweltfreundlichere Designs. Forschungs- und Entwicklungsprojekte können gezielt auf Bereiche mit dem größten positiven Umwelteinfluss ausgerichtet werden. Die Produktentwicklung wird nachhaltiger.

Der DPP unterstützt die Erfüllung von CSRD-Berichtspflichten und EU-Taxonomie-Konformität. Die systematisch erfassten Daten fließen direkt in vorgeschriebene Nachhaltigkeitsberichte, was den Aufwand für Datensammlung erheblich reduziert. Besonders die durch das EU-Omnibus-Paket 2025 vereinfachte EU-Taxonomie profitiert von den strukturierten DPP-Daten. Die ESG-Integration wird vereinfacht.

ESG-orientierte Investoren profitieren von der verbesserten Datenlage. Transparente Nachhaltigkeitskennzahlen reduzieren Investitionsrisiken und können zu günstigeren Finanzierungskonditionen führen. Nachhaltigkeit als Erfolgsfaktor zeigt sich in verbesserter Wettbewerbsposition und Marktzugang. Die Investor Relations verbessern sich.

Der Weg zur erfolgreichen Implementierung

Unternehmen sollten die Umsetzung strukturiert angehen.

Phase 1 (bis Dezember 2025): Analyse bestehender Datenstrukturen und Identifikation von Lücken. Integration mit vorhandenen ERP- und PLM-Systemen sowie Schaffung organisatorischer Strukturen für Compliance-Umsetzung. In dieser Phase sollte auch eine doppelte Wesentlichkeitsanalyse durchgeführt werden, um die relevantesten Nachhaltigkeitsaspekte zu identifizieren.

Phase 2 (Januar bis Juni 2026): Technische Implementierung der DPP-Schnittstellen, Mitarbeiterschulungen und Start von Pilotprojekten mit ausgewählten Produktlinien.

Phase 3 (Juli 2026 bis Februar 2027): Skalierung auf das gesamte Produktportfolio, Einführung automatisierter Datenvalidierung und Integration der Daten in ESG-Berichterstattung. Parallel sollten Unternehmen ihre CSRD-Berichterstattung vorbereiten, da viele DPP-Daten auch hier relevant sind.

Phase 4 (ab Februar 2027): Mit Inkrafttreten der DPP-Pflicht für Industriebatterien müssen alle Systeme vollständig einsatzbereit sein. Der Fokus liegt auf kontinuierlicher Optimierung und Nutzung der Daten für neue Geschäftsmöglichkeiten.

Erfolgsfaktoren sind klare Verantwortlichkeiten zwischen IT, Recht, Produktentwicklung und Nachhaltigkeit. Product Stewards koordinieren zwischen Abteilungen, Data Governance Leads entwickeln Qualitätsstandards, und Compliance Officers kümmern sich um regulatorische Anforderungen. Standardisierte APIs und Middleware ermöglichen konsistente Datenerfassung.

Besondere Herausforderungen für KMU

Kleine und mittlere Unternehmen stehen vor spezifischen Herausforderungen. Häufig fehlen Ressourcen und Strukturen, um Lebenszyklusdaten systematisch zu erfassen oder digitale Produktpässe zu erstellen. Gleichzeitig sind KMU als Zulieferer oft indirekt betroffen und müssen entsprechende Informationen bereitstellen.

Die Initiative Mittelstand-Digital unterstützt mit anbieterneutralen, kostenfreien Angeboten – vom ersten Überblick bis zu praxisnahen Pilotprojekten. Digitalzentren bieten Grundlagenimpulse, Workshops und Demonstratoren, die zeigen, wie digitale Lieferketten und Produktpässe in der Praxis funktionieren.

Für KMU ist der DPP aus mehreren Gründen relevant: Transparenz in der Lieferkette macht bisher verstreute Informationen strukturiert zugänglich. Ressourceneffizienz ermöglicht bessere Steuerung von Materialeinsatz und Rücknahmeprozessen. Regulatorische Sicherheit verhindert Risiken bei der Marktüberwachung. Wettbewerbsfähigkeit entsteht, da Kunden zunehmend belastbare Umwelt- und Ressourcendaten erwarten.

Ein pragmatischer Einstieg beginnt mit einer Bestandsaufnahme vorhandener Produktdaten. Unternehmen sollten ermitteln, welche Informationen bereits vorliegen und in welchen Systemen sie gespeichert sind. Eine einfache Tabelle mit Produkten, Datenquellen und Verantwortlichkeiten reicht für den Anfang oft aus. Für KMU bietet sich auch die Einführung des VSME-Standards für Nachhaltigkeitsberichterstattung an, der komplementär zum DPP wirkt.

Verbraucherperspektive: Mehr Transparenz, bewusstere Entscheidungen

Für Verbraucher bringt der DPP erhebliche Vorteile. Durch einfachen Zugang zu Produktinformationen – etwa per QR-Code-Scan am Smartphone – können sie fundiertere Kaufentscheidungen treffen. Informationen über Herkunft, Umweltauswirkungen und ethische Aspekte werden transparent.

Die Reparierbarkeit von Produkten rückt in den Fokus. Wer sich über verlorene Knöpfe oder einen hakenden Reißverschluss ärgert, kann über den DPP Informationen zu Ersatzteilen und Reparaturmöglichkeiten erhalten. Dies verlängert die Produktlebensdauer und reduziert Abfall.

Umweltbewusste Verbraucher können Produkte nach ihrem ökologischen Fußabdruck bewerten und sich für nachhaltigere Optionen entscheiden. Studien zeigen, dass bereits ein erheblicher Anteil der Konsumenten Nachhaltigkeit als relevant erachtet und bewusst nachhaltig einkauft.

Internationale Perspektive und globale Wirkung

Der DPP gilt nicht nur in der EU, sondern betrifft alle Produkte, die auf dem europäischen Markt angeboten werden – unabhängig vom Herstellungsort. Diese Regelung hat weitreichende Auswirkungen auf globale Lieferketten und könnte als Vorbild für andere Regionen dienen. Ähnlich wie bei der EUDR-Regulierung wirkt der Brussels-Effekt auch hier: EU-Standards setzen globale Maßstäbe.

Die dezentrale Architektur des DPP ermöglicht internationale Zusammenarbeit. Wirtschaftsakteure weltweit können ihre Daten eigenständig verwalten und über standardisierte Schnittstellen bereitstellen. Dies erleichtert die Integration in bestehende globale Systeme und fördert internationale Interoperabilität.

Die EU positioniert sich mit dem DPP als Vorreiter in Sachen Produkttransparenz und Nachhaltigkeit. Andere Wirtschaftsräume könnten ähnliche Systeme einführen, was langfristig zu globalen Standards führen könnte. Die technischen Leitfäden und Normungsarbeiten bieten dafür bereits eine solide Grundlage.

Zukunftsperspektiven: Vom Compliance-Tool zum strategischen Asset

Der Digitale Produktpass ist mehr als eine regulatorische Pflicht – er markiert einen Paradigmenwechsel in der Produktwirtschaft. Unternehmen, die den DPP nicht nur als Compliance-Anforderung verstehen, sondern als strategische Chance begreifen, können langfristig profitieren.

Die systematische Erfassung von Umweltdaten schafft eine neue Ebene der Transparenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Diese Transparenz ist die Grundlage für zukunftsfähige Geschäftsmodelle und kann zum Treiber einer zirkulären Wertschöpfung werden. Für Unternehmen, die einen Nachhaltigkeitsbericht mit echtem Mehrwert erstellen wollen, bietet der DPP eine wertvolle Datengrundlage.

Frühzeitiges und strukturiertes Handeln zahlt sich aus. Unternehmen sollten ihre bestehenden Datenstrukturen prüfen, erste Pilotprojekte initiieren und die notwendigen organisatorischen Grundlagen schaffen. Wer diese Transformation entschlossen angeht, erfüllt nicht nur regulatorische Vorgaben, sondern ebnet den Weg für nachhaltiges Wachstum innerhalb der Kreislaufwirtschaft.

Der DPP entwickelt sich zu einem neuen Kommunikationskanal mit eigenen Anforderungen an Design, Nutzerführung und Informationsarchitektur. Unternehmen, die aus der Perspektive ihrer Kunden denken, können Erlebnisse schaffen, die Vertrauen stärken, Orientierung bieten und echten Mehrwert erzeugen.

Die kommenden Jahre werden zeigen, wie sich der Digitale Produktpass in der Praxis bewährt. Eines ist jedoch bereits jetzt klar: Der DPP wird die Art und Weise, wie Produkte in Europa hergestellt, gehandelt und genutzt werden, grundlegend verändern. Unternehmen, die diesen Wandel aktiv mitgestalten, sichern sich Wettbewerbsvorteile in einer zunehmend nachhaltigkeitsorientierten Wirtschaft. Professionelle Nachhaltigkeitsberatung kann bei der strategischen Ausrichtung und Implementierung wertvolle Unterstützung bieten.

FAQ: Häufig gestellte Fragen zum Digitalen Produktpass

Was ist der Digitale Produktpass genau?

Der Digitale Produktpass (DPP) ist ein elektronischer Datensatz, der umfassende Informationen über ein Produkt über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg bereitstellt. Er enthält Daten zur Materialzusammensetzung, Herkunft, Umweltwirkungen, Reparierbarkeit und Recyclingfähigkeit. Der Zugriff erfolgt über Datenträger wie QR-Codes oder NFC-Chips direkt am Produkt.

Digitaler Produktpass ab wann: Wann wird der DPP verpflichtend?

Die Einführung erfolgt gestaffelt. Der Batteriepass wird ab 18. Februar 2027 für Industrie- und Elektrofahrzeugbatterien sowie Batterien von Zweirädern über 2 kWh Kapazität verpflichtend. Weitere Produktgruppen wie Textilien, Elektronik, Möbel und Bauprodukte folgen zwischen 2027 und 2030. Die genauen Zeitpläne werden durch delegierte Rechtsakte für jede Produktkategorie festgelegt.

Digitaler Produktpass für welche Produkte: Welche Produkte sind vom DPP betroffen?

Die Ökodesign-Verordnung (ESPR) umfasst grundsätzlich alle physischen Güter auf dem EU-Markt. Ausgenommen sind lediglich Lebensmittel, Futtermittel und medizinische Produkte. Priorisiert werden zunächst:

  • Batterien (ab Februar 2027): Industrie- und Elektrofahrzeugbatterien, Zweirad-Batterien über 2 kWh
  • Textilien und Bekleidung (2027-2030): Alle Textilprodukte mit Anforderungen an Faserzusammensetzung und Reparierbarkeit
  • Elektronik und Elektrogeräte (2027-2030): Smartphones, Laptops, Haushaltsgeräte mit Fokus auf Lebensdauer und Konfliktmineralien
  • Möbel (2028-2030): Informationen zu Materialien und Rücknahmemöglichkeiten
  • Bauprodukte (2028-2030): Konstruktionsmaterialien und Baustoffe
  • Autoreifen (2028-2030): Verschleißinformationen und Recyclingfähigkeit
  • Eisen und Stahl (2028-2030): Produktionsverfahren und Sekundärrohstoffanteil

Die EU wird schrittweise weitere Produktkategorien in den Geltungsbereich aufnehmen. Unternehmen sollten beachten, dass auch Zulieferprodukte und Komponenten vom DPP betroffen sein können, selbst wenn das Endprodukt nicht explizit aufgeführt ist.

Digitaler Produktpass Beispiel: Wie sieht ein DPP in der Praxis aus?

Ein praktisches Beispiel ist der Batteriepass für Elektrofahrzeuge. Auf der Batterie ist ein QR-Code angebracht. Beim Scannen mit dem Smartphone öffnet sich eine digitale Oberfläche mit gestaffelten Informationen:

Für Verbraucher sichtbar:

  • Batteriekapazität: 75 kWh
  • Erwartete Lebensdauer: 8 Jahre / 160.000 km
  • CO₂-Fußabdruck der Herstellung: 8,5 t CO₂e
  • Herkunft der Kathoden-Materialien: Lithium (Australien), Kobalt (DRC mit Konfliktmineral-Zertifikat)
  • Recyclingfähigkeit: 95% der Materialien rückgewinnbar

Für Werkstätten zusätzlich:

  • Technische Spezifikationen für Wartung und Reparatur
  • Verfügbarkeit von Ersatzmodulen
  • Sicherheitshinweise für Batteriewechsel
  • Software-Update-Historie

Für Recyclingunternehmen zusätzlich:

  • Exakte Materialzusammensetzung (kg Lithium, Kobalt, Nickel, Mangan)
  • Empfohlene Recyclingverfahren
  • Zerlegungsanleitung

Für Behörden zusätzlich:

  • Vollständige Lieferkette mit Sorgfaltsprüfungen
  • Compliance-Nachweise (EU-Taxonomie, CBAM)
  • Audit-Berichte und Zertifizierungen

Ein weiteres Beispiel ist ein T-Shirt mit DPP: Der QR-Code am Etikett zeigt Verbrauchern die Faserzusammensetzung (z.B. 100% Bio-Baumwolle aus Indien), den Wasserverbrauch in der Produktion, Sozialstandards in der Fertigung (Fair-Trade-Zertifikat), Pflegehinweise zur Verlängerung der Lebensdauer und Rückgabemöglichkeiten für Textilrecycling.

Digitaler Produktpass Pflicht: Ist der DPP verpflichtend?

Ja, der Digitale Produktpass ist für alle betroffenen Produkte, die auf dem EU-Markt in Verkehr gebracht werden, verpflichtend. Die Pflicht gilt unabhängig davon, wo das Produkt hergestellt wurde – auch Importe aus Drittländern müssen einen DPP aufweisen.

Konsequenzen bei Nicht-Einhaltung:

  • Verkaufsverbot: Produkte ohne erforderlichen DPP dürfen nicht verkauft werden
  • Bußgelder: Marktüberwachungsbehörden können Geldstrafen verhängen (Höhe wird national festgelegt)
  • Produktrückrufe: Bei systematischen Verstößen drohen kostspielige Rückrufaktionen
  • Reputationsschäden: Öffentliche Bekanntmachung von Compliance-Verstößen
  • Ausschluss von Ausschreibungen: Keine Teilnahme an öffentlichen Aufträgen mehr möglich

Die DPP-Pflicht ist Teil der ESPR und somit EU-Verordnung mit unmittelbarer Wirkung in allen Mitgliedstaaten. Unternehmen sollten die Implementierung nicht auf die lange Bank schieben – die ersten Produktkategorien sind bereits ab Februar 2027 betroffen.

Ausnahmen gibt es praktisch keine. Selbst bei Kleinstunternehmen gilt die Pflicht, wobei die EU für KMU vereinfachte Umsetzungshilfen bereitstellt. Wer als Händler oder Online-Marktplatz Produkte ohne DPP anbietet, haftet ebenfalls.

Digitaler Produktpass Software: Welche technischen Lösungen gibt es?

Für die Implementierung des DPP stehen verschiedene Softwarelösungen zur Verfügung. Die Wahl hängt von Unternehmensgröße, Produktkomplexität und bestehender IT-Infrastruktur ab.

Spezialisierte DPP-Plattformen:

  • Catena-X / Eclipse Tractus-X: Open-Source-Lösung auf Basis der Asset Administration Shell (AAS), besonders für Automotive und industrielle Anwendungen geeignet
  • Circularise: Blockchain-basierte Plattform mit Fokus auf Supply Chain Transparency, besonders für komplexe Lieferketten
  • Worldfavor / Worldly: SaaS-Lösungen mit fertigen Templates für verschiedene Produktkategorien
  • Battery Pass Consortium: Spezialisierte Lösung für Batteriepässe mit direkter Anbindung an EU-Dateninfrastruktur

PLM-Systeme mit DPP-Erweiterung:

  • Siemens Teamcenter: Integrierte DPP-Module für Produktdatenmanagement
  • Dassault Systèmes 3DEXPERIENCE: Lifecycle-Management mit DPP-Funktionalität
  • PTC Windchill: DPP-Integration in bestehende PLM-Landschaft

Für KMU geeignete Lösungen:

  • GS1 Digital Link: Standardisierte Lösung auf Basis von QR-Codes, einfache Integration
  • Branchenverbands-Lösungen: Viele Verbände bieten spezialisierte Tools für ihre Mitglieder
  • Cloud-Plattformen: SaaS-Modelle mit monatlicher Abrechnung, keine hohen Einstiegsinvestitionen

Auswahlkriterien für DPP-Software:

  1. Interoperabilität: Kompatibilität mit EU-Standards (AAS, ECLASS, GS1)
  2. Skalierbarkeit: Vom Pilotprojekt bis zum kompletten Produktportfolio
  3. Integration: Anbindung an ERP, PLM, PIM, MES-Systeme
  4. Datensicherheit: DSGVO-konform, granulare Zugriffsrechte
  5. Lieferkettenintegration: API-Schnittstellen für Zulieferer und Partner
  6. Kosten: TCO inkl. Implementierung, Schulung, laufender Betrieb
  7. Support: Technischer Support und Updates bei regulatorischen Änderungen

Empfehlung für den Einstieg: Mittelständische Unternehmen sollten mit einer Machbarkeitsstudie beginnen: Analyse der bestehenden Datenlandschaft, Identifikation von Datenlücken, Bewertung verschiedener Softwarelösungen im Kontext der eigenen IT-Architektur und Durchführung eines Pilotprojekts mit ausgewählten Produkten.

Viele Anbieter bieten kostenlose Testphasen oder Proof-of-Concept-Projekte an. Die Investition in professionelle Beratung für die Softwareauswahl zahlt sich aus – Fehlentscheidungen bei der Systemwahl sind später nur schwer zu korrigieren.

Welche Daten muss der DPP enthalten?

Der DPP umfasst produkt- und produktgruppenspezifische Informationen. Dazu gehören: Materialzusammensetzung und Herkunft, CO₂-Fußabdruck und Umweltwirkungen über den gesamten Lebenszyklus, Informationen zur Reparierbarkeit und Ersatzteilversorgung, Recyclingfähigkeit und Entsorgungshinweise, Angaben zu kritischen Rohstoffen sowie Daten zur Lieferkette. Die spezifischen Anforderungen werden für jede Produktgruppe durch delegierte Rechtsakte definiert.

Wie wird die Datensicherheit beim DPP gewährleistet?

Der DPP basiert auf einer dezentralen Architektur mit gestaffelten Zugriffsrechten. Während grundlegende Produktinformationen öffentlich zugänglich sind, werden sensible Geschäftsdaten wie Lieferantennetzwerke oder Produktionsmethoden geschützt. Granulare Berechtigungskonzepte regeln, wer welche Informationen einsehen darf. Die EU-Normung entwickelt Standards für IT-Sicherheit, Datenschutz und Zugangsrechteverwaltung, die mit der DSGVO konform sind.

Welche Vorteile bietet der DPP für Unternehmen?

Der DPP schafft Transparenz in der Lieferkette und stärkt das Vertrauen von Kunden und Investoren. Er ermöglicht effizientere Beschaffungsprozesse durch systematische Lieferantendaten und Risikomanagement. Neue Geschäftsmodelle wie Product-as-a-Service werden möglich. LCA-Daten unterstützen nachhaltige Produktentwicklung. Die Integration mit CSRD-Berichterstattung und EU-Taxonomie reduziert den Aufwand für ESG-Reporting. Zudem verbessern transparente Nachhaltigkeitskennzahlen die Investor Relations.

Welche technischen Standards gelten für den DPP?

Die Europäischen Normungsorganisationen CEN, CENELEC und ETSI entwickeln harmonisierte Standards. Das Joint Technical Committee 24 (JTC 24) koordiniert diese Arbeit. Standards werden für Datenaustauschprotokolle (JSON, XML), eindeutige Kennungen, APIs, System-Interoperabilität sowie IT-Sicherheit und Datenschutz entwickelt. Die Asset Administration Shell (AAS) hat sich als standardisiertes Datenmodell etabliert. Unternehmen können QR-Codes, RFID-, NFC-Chips oder Blockchain-Technologie einsetzen.

Wie können KMU den DPP umsetzen?

KMU sollten mit einer Bestandsaufnahme vorhandener Produktdaten beginnen und identifizieren, welche Informationen in welchen Systemen vorliegen. Die Initiative Mittelstand-Digital bietet kostenfreie Unterstützung durch Digitalzentren mit Workshops und Demonstratoren. Ein pragmatischer Einstieg erfolgt über Pilotprojekte mit ausgewählten Produktlinien. KMU können externe Dienstleister für Hosting und Datenmanagement beauftragen und so die technische Hürde reduzieren. Die dezentrale Architektur ermöglicht flexible Lösungen auch für kleinere Unternehmen.

Was passiert bei Nicht-Einhaltung der DPP-Pflicht?

Produkte ohne erforderlichen Produktpass dürfen nicht auf dem EU-Markt in Verkehr gebracht werden. Marktüberwachungsbehörden können Verkaufsverbote aussprechen, Bußgelder verhängen und Produktrückrufe anordnen. Die Höhe der Sanktionen wird auf nationaler Ebene festgelegt. Bei systematischen Verstößen drohen zudem Reputationsschäden und der Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen. Unternehmen sollten frühzeitig mit der Implementierung beginnen, um Compliance-Risiken zu vermeiden.

Wie unterscheidet sich der DPP von anderen ESG-Berichtspflichten?

Der DPP fokussiert auf produktspezifische Informationen über den gesamten Lebenszyklus, während CSRD die Nachhaltigkeitsberichterstattung auf Unternehmensebene regelt. Die EU-Taxonomie bewertet die ökologische Nachhaltigkeit wirtschaftlicher Aktivitäten. Der DPP liefert jedoch wertvolle Daten, die in CSRD-Berichte einfließen können – etwa zur Wesentlichkeitsanalyse, Klimarisikoanalyse oder Scope 3-Bilanzierung. Die systematische Erfassung von Produktdaten reduziert den Aufwand für parallele Berichtspflichten erheblich.

Bei weiteren Fragen zur strategischen Implementierung des Digitalen Produktpasses steht professionelle Nachhaltigkeitsberatung zur Verfügung, die auf über 15 Jahren Erfahrung in ESG-Strategien und Compliance aufbaut.

Johannes Fiegenbaum

Johannes Fiegenbaum

ESG- und Nachhaltigkeitsberater mit Spezialisierung auf CSRD, VSME und Klimarisikoanalysen. 300+ Projekte für Unternehmen wie Commerzbank, UBS und Allianz.

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