Von Johannes Fiegenbaum am 31.08.24 10:39
Die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) definieren ab 2024 die verbindlichen Regeln für EU-Nachhaltigkeitsberichterstattung. Dieser Komplett-Guide erklärt die Struktur aller 12 ESRS-Standards, zeigt die Pflicht/Optional-Logik auf und ordnet die regulatorischen Vereinfachungen durch Stop-the-Clock und Omnibus-Paket strategisch ein.
Die ESRS 1 und ESRS 2 bilden das verpflichtende Fundament – ergänzt durch zehn themenspezifische Standards zu Umwelt (E1-E5), Soziales (S1-S4) und Governance (G1). Mit den Erleichterungen des Omnibus-Pakets 2025 (–68% Datenpunkte) und der Stop-the-Clock-Verschiebung (+2 Jahre) haben Unternehmen erstmals realistische Implementierungszeitfenster.
Für praktische Implementierungsbeispiele aus echten KMU-Berichten siehe unseren VSME Praxis-Guide mit 5 Branchen-Fallstudien.
Die 12 ESRS-Standards bilden das rechtlich verbindliche Regelwerk für CSRD-Nachhaltigkeitsberichterstattung:
Wesentliche Änderungen 2025/2026:
Kritisch für KMU: Auch nicht-berichtspflichtige Unternehmen sind indirekt betroffen, wenn sie Zulieferer CSRD-pflichtiger Unternehmen sind. Der Scope 3 Quick Check hilft bei der Ersteinschätzung eurer Supply-Chain-Exposition.
Die ESRS folgen einer zweistufigen Architektur, die zwischen verpflichtenden Grundlagen-Standards und materialitätsbasierten Themen-Standards unterscheidet:
ESRS 1 – Allgemeine Anforderungen
Definiert die methodischen Grundlagen: Berichtsgrundsätze (Relevanz, Vergleichbarkeit, Vollständigkeit), das Konzept der doppelten Materialität (Inside-out + Outside-in), Wertschöpfungsketten-Berichterstattung und Übergangsregelungen. ESRS 1 ist das "Betriebssystem" für alle anderen Standards – es legt fest, wie berichtet wird.
ESRS 2 – Allgemeine Angaben
Strukturiert die Pflicht-Berichterstattung zu Governance (GOV-1 bis GOV-5: Nachhaltigkeits-Governance, Risikoidentifikation, Anreizsysteme), Strategie und Geschäftsmodell (SBM-1 bis SBM-3: Wertschöpfungskette, Stakeholder-Engagement, IRO-Mapping) und der Dokumentation der Materialitätsanalyse (IRO-1). ESRS 2 ist das "Inhaltsverzeichnis" jedes Berichts – unabhängig davon, welche themenspezifischen Standards zusätzlich angewendet werden.
Zusammen bilden ESRS 1+2 etwa 200-300 Datenpunkte (nach Omnibus-Reduktion) und gelten für alle CSRD-pflichtigen Unternehmen.
Die zehn ESRS E1-E5, S1-S4 und G1 gelten nur, wenn die entsprechenden Themen in der doppelten Materialitätsanalyse als wesentlich identifiziert wurden. Ein Thema ist material, wenn entweder Impact Materiality (Inside-out: Unternehmensauswirkungen auf Menschen/Umwelt) ODER Financial Materiality (Outside-in: ESG-Risiken für Unternehmenswert) erfüllt ist.
ESRS E1 – Klimawandel
Deckt Treibhausgasemissionen (Scope 1, 2, 3), Klimaschutz (Dekarbonisierungsziele, Transition Plans), Klimaanpassung (Resilienz gegenüber physischen Risiken) und Energie ab. E1 gilt faktisch für fast alle Unternehmen als material – die EU-Kommission geht davon aus, dass nur in Ausnahmefällen Klimawandel als nicht-material eingestuft werden kann. Zentrale Disclosure Requirements umfassen E1-1 (Transition Plan), E1-6 (Scope 1/2/3-Emissionen) und E1-9 (Finanzielle Auswirkungen von Klimarisiken). Mehr zur Umsetzung im Klimarisikoanalyse-Leitfaden.
ESRS E2 – Umweltverschmutzung
Behandelt Luftverschmutzung (NOx, SOx, Feinstaub), Wasser- und Bodenverschmutzung, Substanzen of Concern (REACH, RoHS) und Mikroplastik-Emissionen. Material typischerweise für Produktion, Chemie, Transport – oft nicht-material für Dienstleister und Software.
ESRS E3 – Wasser- und Meeresressourcen
Fokussiert auf Wasserverbrauch (E3-4: Gesamtverbrauch nach Wassergestressten vs. Nicht-gestressten Regionen), Wasserrisiken und Auswirkungen auf Meeresökosysteme. Material bei wasserintensiven Prozessen oder Lieferanten in Hochrisiko-Regionen – oft nicht-material für Büro-Dienstleister.
ESRS E4 – Biodiversität und Ökosysteme
Deckt Abhängigkeit von Ökosystemleistungen, Auswirkungen auf Biodiversität (Habitat-Verlust, invasive Arten), Landnutzungsänderungen und Schutzgebiete ab. Omnibus-Sonderregelung (2025-2026): Keine quantitative Berichterstattung erforderlich – qualitative Beschreibungen ausreichend – wegen methodischer Unreife (kein standardisiertes "CO2 der Biodiversität"). Ab 2027 volle Anforderungen.
ESRS E5 – Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft
Behandelt Ressourceneffizienz (Material- und Energieproduktivität), Kreislaufwirtschafts-Ansätze (Design for Circularity, Reuse, Recycling), Abfallerzeugung (E5-6: nach Kategorien, Recyclingquoten) und nicht-erneuerbare vs. erneuerbare Materialien. Material für produzierende Unternehmen und Handel – oft nicht-material für reine Dienstleister.
ESRS S1 – Eigene Belegschaft
Umfasst Arbeitsbedingungen (Arbeitszeit, Vergütung, Work-Life-Balance), Gleichbehandlung und Chancengleichheit (Gender Pay Gap, Diversity), Arbeitnehmerrechte, Gesundheit und Sicherheit (S1-14: Arbeitsunfallrate) sowie Aus- und Weiterbildung. S1 ist für fast alle Unternehmen material. Omnibus-Erleichterungen (2025-2026): Vereinfachte Vergütungsmetriken, Gender Pay Gap ohne detaillierte Job-Level-Analyse, Diversity-Fokus auf Top-Management.
ESRS S2 – Arbeitnehmer in der Wertschöpfungskette
Fokussiert auf Arbeitsbedingungen bei Lieferanten, Forced Labor und Kinderarbeit in der Lieferkette, Living Wages in Produktionsländern und Gewerkschaftsrechte bei Zulieferern. Omnibus-Erleichterungen (bis 750 MA): Vereinfachte Wertschöpfungsketten-Berichterstattung in Jahr 1-2, Fokus auf Tier-1-Lieferanten, "Nicht verfügbar"-Kennzeichnung bei unverhältnismäßigem Aufwand. Material für Import-Handel, Produktion mit Non-EU-Lieferanten, Bau.
ESRS S3 – Betroffene Gemeinschaften
Deckt Auswirkungen auf lokale Gemeinschaften (Lärm, Verkehr, Umweltbelastung), Rechte indigener Völker (Free Prior Informed Consent), Land Rights und wirtschaftliche Auswirkungen auf Communities ab. Oft nicht-material für die Mehrheit der KMUs – Ausnahmen: Unternehmen mit großflächigen Standorten, Bergbau, Infrastrukturprojekte, Operations in indigenen Territorien.
ESRS S4 – Verbraucher und Endnutzer
Behandelt Produktsicherheit und -qualität, Datenschutz und Datensicherheit (GDPR-Compliance), verantwortungsvolle Kommunikation (Greenwashing-Vermeidung) und Zugänglichkeit (Barrierefreiheit). Material für B2C-Unternehmen, Unternehmen mit sensiblen Kundendaten (SaaS, FinTech, HealthTech), regulierte Produkte – weniger material für reine B2B-Zulieferer.
ESRS G1 – Unternehmensführung
Umfasst Geschäftsethik und Corporate Culture (G1-1), Management von Lieferantenbeziehungen (G1-2), Korruptionsbekämpfung und Bestechungsprävention (G1-3), politisches Engagement und Lobbying (G1-4), Zahlungspraktiken (G1-5) und Verstöße/Vorfälle (G1-6). G1 ist für alle CSRD-pflichtigen Unternehmen material – ähnlich wie ESRS 2.
Die Frage "Welche ESRS muss ich berichten?" folgt einer dreistufigen Logik:
ESRS 1 + 2 gelten ohne Materialitätsprüfung. Umfang: ~200-300 Datenpunkte (nach Omnibus-Reduktion). Warum immer verpflichtend? Sie sind das "Betriebssystem" und "Inhaltsverzeichnis" des Berichts – sie strukturieren, wie über materielle Themen berichtet wird.
ESRS E1-E5, S1-S4, G1 gelten nur wenn materiell. Praktische Faustregeln für KMU-Materialität:
| ESRS | Typisch material wenn... | Typisch nicht-material wenn... |
|---|---|---|
| E1 Klimawandel | Fast immer (EU-Annahme) | Nur extreme Ausnahmen |
| E2 Umweltverschmutzung | Produktion, Chemie, Transport | Dienstleister, Software, Handel |
| E3 Wasser | Wasserintensive Prozesse, Hochrisiko-Lieferanten | Büro-Dienstleister, IT |
| E4 Biodiversität | Landnutzung, Tropenholz-Lieferanten | Städtische Dienstleister, Software |
| E5 Kreislaufwirtschaft | Produktion, Handel mit Verpackung | Reine Dienstleister |
| S1 Eigene Belegschaft | Fast immer | Sehr kleine Teams |
| S2 Lieferketten-Arbeitnehmer | Non-EU-Lieferanten, Textil, Bau | Reine Dienstleister ohne Supply Chain |
| S3 Communities | Großflächige Standorte, Bergbau | Büro-basierte Unternehmen |
| S4 Verbraucher | B2C, SaaS, regulierte Produkte | Reine B2B-Zulieferer |
| G1 Governance | Immer (wie ESRS 2) | Praktisch nie |
Für strukturierte Materialitätsanalyse nutze den CSRD Materiality Screening mit interaktiver EFRAG 2025 Matrix.
Börsennotierte KMU (Phase 3: Bericht ab 2028) können den VSME-Standard nutzen – einen stark vereinfachten Berichtsstandard:
Wer kann VSME nutzen? Börsennotierte KMU UND freiwillig auch nicht-börsennotierte KMU – z.B. als Zulieferer-Standard für Scope-3-Datenlieferung. Mehr Details im VSME-Einführungsleitfaden mit 5 Branchen-Fallstudien.
Die Kombination aus Stop-the-Clock (mehr Zeit) und Omnibus-Paket (weniger Komplexität) schafft erstmals realistische Implementierungsfenster:
Für detaillierte Analyse siehe Artikel zum Omnibus-Paket 2025.
Schritt 1: Bist du CSRD-pflichtig?
Schritt 2: Führe doppelte Materialitätsanalyse durch
Schritt 3: Priorisiere mit Omnibus-Phasenansatz
Mit Stop-the-Clock (+2 Jahre) und Omnibus-Paket (–68% Datenpunkte) haben Unternehmen erstmals realistische Implementierungszeitfenster:
Fokus: Materialitätsanalyse und Quick Assessment
Fokus: ESG-Datenarchitektur und Prozesse etablieren
Fokus: Testbericht und Audit-Vorbereitung
Fokus: Erstberichterstattung
Nein. ESRS 1 und ESRS 2 sind immer verpflichtend, die zehn themenspezifischen Standards (E1-E5, S1-S4, G1) nur, wenn sie in der doppelten Materialitätsanalyse als wesentlich identifiziert wurden. Praktisch bedeutet dies: Die meisten Unternehmen berichten 4-8 der 12 Standards.
Der VSME-Standard ist eine stark vereinfachte Version der ESRS speziell für KMUs. VSME enthält nur 30-50 Datenpunkte (vs. 400+ bei vollen ESRS nach Omnibus-Reduktion) und kann von börsennotierten KMUs anstelle der vollen ESRS genutzt werden. Mehr Details im VSME-Einführungsleitfaden.
Faktisch ja. Die EU-Kommission geht davon aus, dass ESRS E1 für fast alle Unternehmen material ist – Ausnahmen sind nur in begründeten Einzelfällen möglich. Mehr zur Klimarisiko-Analyse im Klimarisikoanalyse-Leitfaden.
Teilweise ja – durch Omnibus-Erleichterungen: Unternehmen bis 750 Mitarbeiter können Scope 3 erst ab Jahr 2 berichten. Gestaffelte Berichterstattung erlaubt: Jahr 1 nur Scope 1+2, Jahr 2 + Scope 3 Upstream, Jahr 3 + Scope 3 Downstream. Für pragmatische Scope-3-Bewertung nutze den Scope 3 Quick Check.
Nicht zwingend, aber stark empfohlen ab mittlerer Komplexität. Excel-basiert möglich für sehr kleine Unternehmen – aber: Kein Audit-Trail, fehleranfällig, kein XBRL-Tagging. Spezialisierte ESG-Plattformen bieten vorkonfigurierte ESRS-Templates, automatisches XBRL-Tagging und Audit-Trails – empfohlen für die meisten KMUs und Mittelständler.
Grobe Kostenrahmen: Externe Beratung (50.000-150.000 EUR), ESG-Software-Lizenzen (10.000-50.000 EUR/Jahr), interne Ressourcen (0,5-2 VZÄ), Wirtschaftsprüfung Limited Assurance (30.000-80.000 EUR/Jahr). Gesamt Erstjahr: 150.000-500.000 EUR. Ab Jahr 2 deutlich reduziert.
Die Kombination aus Stop-the-Clock (mehr Zeit) und Omnibus-Paket (weniger Komplexität) schafft erstmals realistische Implementierungsfenster für die ESRS-Standards. Unternehmen, die diese drei Jahre (2025-2027) strategisch nutzen, können:
Kritisch für KMUs: Auch nicht-berichtspflichtige Unternehmen sind indirekt betroffen – Zulieferer CSRD-pflichtiger Unternehmen müssen Scope-3-Daten liefern. Der Scope 3 Quick Check hilft bei der Ersteinschätzung eurer Supply-Chain-Exposition.
Für praktische Umsetzungsbeispiele aus echten KMU-Berichten siehe unseren VSME Praxis-Guide mit 5 Branchen-Fallstudien.
Mit über 15 Jahren Erfahrung und 300+ ESG-Projekten unterstütze ich Unternehmen bei der strategischen ESRS-Implementierung:
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ESG- und Nachhaltigkeitsberater mit Spezialisierung auf CSRD, VSME und Klimarisikoanalysen. 300+ Projekte für Unternehmen wie Commerzbank, UBS und Allianz.
Zur PersonExecutive Summary: Die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) definieren seit 2024 die...